Zuhause im Nexus von Migration und Stadt: Jun.-Prof. Yamamura und die digitalen Methoden in der Humangeographie
Liebe Frau Yamamura,
zum 1.3.2022 haben Sie die neu eingerichtete WISNA-Juniorprofessur „Digitale Methoden in der Humangeographie“ übernommen. Warum haben Sie sich für Aachen entschieden und welche Schwerpunkte werden Sie in Aachen in die Lehre und Forschung einbringen?
Die RWTH ist als Exzellenzuniversität an der Spitze von der deutschen Universitätslandschaft in Forschung und Lehre, und gerade bezüglich der Entwicklung und Anwendung digitaler Methoden und beim Thema Digitalisierung denke ich, dass die RWTH ein idealer Ort für Kooperationen und die Umsetzung innovativer Ideen ist. Die interdisziplinäre Kooperationsbereitschaft und auch eine wirklich sehr nette kollegiale Atmosphäre am Institut haben mich dann von dem neuen Arbeitsort überzeugt. Aachen selbst finde ich trotz der begrenzten Vielfalt im Vergleich zu Weltmetropolen oder anderen deutschen Großstädten dennoch durch die Nähe zu den unterschiedlichen Nachbarländern auch besonders interessant im Hinblick auf die Dynamiken der Diversität und der Internationalität. Internationalität bzw. Transnationalisierung, Diversität und natürlich Digitalisierung werden die Schwerpunkte meiner Tätgikeit in der sozialgeographischen Migrations- und Stadtforschung sein. Anhand neuer digitaler Methoden möchte ich sozialräumliche Fragestellungen zum Nexus Migration und Stadt erforschen, und auch die Digitalisierung als gesellschaftlichen Kontext in die Migrations- und Diversitätsdiskurse als Perspektive weiter integrieren. Solche neuen sozialräumlichen Perspektiven und die Sensibilisierung zur Diversität zu vermitteln wird neben dem Umgang und der Anwendung digitaler Methoden ein wichtiger Aspekt auch in meiner Lehre sein.
Sie haben Geographie, Soziologie und Ethnologie im Diplom an der Universität Hamburg studiert und dort 2018 zum Thema „Spatial Diversity in the Global City – Transnational Tokyo“ promoviert. Seit 2018 arbeiteten Sie als PostDoc am „Max Planck Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften“ im Bereich Migrationsstudien, Stadt- und Wirtschaftsgeographie. Wie sind Sie zu den digitalen Methoden in der Humangeographie gekommen und was fasziniert Sie an diesen Methoden?
Ich denke, dass es heutzutage kaum möglich ist das Digitale in unserem Alltag wegzudenken, genauso ist die Digitalisierung mit der Globalisierung ein gesellschaftliches Phänomen, das uns tagtäglich begleitet und mit dem wir uns als Kontext des sozialräumlichen Handels konfrontiert sehen. Digitale Methoden und Medien gehören mittlerweile zum festen Bestandteil in der empirischen Raum- und Sozialforschung. Faszinierend ist einerseits wieviel wir durch die digitalen Methoden und die Erforschung der Nutzung sowie Auswirkung digitaler und insbesondere sozialer Medien erfahren können. Andrerseits zum Negativen fasziniert und beängstigt mich die fehlende kritische Auseinandersetzung mit denen. So möchte ich durch meine Forschungs- und vor allem Lehrtätigkeiten nicht nur auf die Vorteile der digitalen Medien und Digitalisierung der empirischen Methoden hinweisen, sondern auch eine gesunde kritische Auseinandersetzung mit ihnen kultivieren und für eine sinnhaften Einsatz digitaler Methoden zur Beantwortung humangeographischer oder allgemein sozialwissenschaftlicher Fragestellung plädieren.
Nach Ihrem Diplom-Abschluss sind Sie zur „Organisation for Economic Cooperation and Development“ (OECD) in die Abteilung für Internationale Migration in Paris und im Anschluss zum „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) gewechselt. Wie unterscheidet sich die Arbeit in einer global agierenden Organisation von der Arbeit in einer deutschen Bundesbehörde?
Es ist recht einfach vorzustellen, aber es bestehen sehr große Unterschiede zwischen einer internationalen und nationalen Institution, v.a. durch die Internationalität der Arbeitsumgebung, aber auch durch die globalen Perspektiven der Arbeit selbst. Dennoch sind die Arbeitserfahrungen wahrscheinlich ähnlicher zueinander als im Vergleich zur freien Wirtschaft, weil beide quasi im öffentlichen Dienst und im Politik beratenden Bereichen sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der internationalen Organisation und der Bundesbehörde ist dennoch die Unabhängigkeit der Interessen und der Meinungsäußerungen. Trotz der sehr lehrreichen und hochinteressanten Tätigkeiten in beiden Organisationen, bringe ich es gerne so auf den Punkt: Bei oder OECD sind Migrant*innen Zahlen und Trends, im BAMF sind Migrant*innen Paragraphen (nach dem Aufenthaltsgesetz), und ich wollte Migrant*innen als individuelle Menschen betrachten. Deshalb habe ich mich bewusst für den Weg zurück in die Wissenschaft entschieden.
Neben Ihren beruflichen Tätigkeiten im Ausland (u.a. Frankreich, Niederlande, Polen), studierten Sie als Austauschstudentin an der Sorbonne/Frankreich und in Berkeley/USA. Geboren wurden Sie in Tokyo. Inwiefern wurden Sie durch Ihre Erfahrungen im Ausland auf Ihrem Karriereweg beeinflusst? Für wie wichtig halten Sie dabei internationale Erfahrungen bereits während des Studiums?
Die gewohnte Mobilität auch über nationale Grenzen hinweg (ich bin bereits als sog. Third Culture Kid in Japan, Deutschland und den USA aufgewachsen) hat auf jeden Fall geholfen, dass ich mich beruflich so entfalten konnte, wie ich wollte oder wie es kam. Wenn man mit einer hohen Mobilität aufwächst, ist man eben auch später beruflich bereit häufiger flexibel umzuziehen und empfindet weniger Scheu sich immer wieder neu einzuleben und sich selbst neu zu er-/finden. Dies hilft sicherlich Karrierewege einzuschlagen, gegenüber eventuell weniger an Mobilität gewohnte Menschen eher Skrupel hätten. Dadurch, dass ich in verschiedenen Metropolen und Ländern aufgewachsen bin, später dann auch in unterschiedlichen studiert und gearbeitet habe, bringe ich ein besonderes Interesse und eine Affinität, aber auch inhaltliche Nähe und eine Art des erweiterten Verständnisses für die Lebensrealitäten und Erfahrungen bezüglich meiner Forschungsgebiete zu Migration und Stadt mit, was mir auch in der empirischen Forschung im direkten Kontakt mit den Interviewpartner*innen hilft.
Ich denke, dass es kaum noch nicht international möglich ist. Deshalb: ja, je früher die Studierenden mit unterschiedlichen Perspektiven über den eigenen Tellerrand konfrontiert werden und über ihre Sichtweisen und Denkmuster reflektieren, desto besser ist es. Ich befürworte deshalb sehr stark internationale Erfahrungen während des Studiums, allerdings egal ob im Rahmen des Studiums selbst oder über Praktika und weitere berufliche Erfahrungen. Es gibt heutzutage so viele Möglichkeiten und Chancen, seine Horizonte zu erweitern; man muss sie nur ergreifen.
In den Medien wird Migration zunehmend als Bedrohung dargestellt. Inwiefern wird dieser Ansatz in der Forschung aufgegriffen?
Gerade in dem (Super-)Diversitätsansatz innerhalb der Migrationsforschung ist der Anspruch oder der Denkansatz vorhanden, von der gesellschaftlichen Diversität als Ist-Zustand in vielen Teilen der Gesellschaft auszugehen. Diversität bezieht sich dabei nicht nur auf ethnische Hintergründe oder Staatsangehörigkeiten, sondern betrachtet auch die weiteren, durchaus komplex miteinander verwobenen Diversitätsdimensionen. Dennoch können wir von der migrations-geleiteten Diversität oder Diversifizierung der Gesellschaft sprechen, da die Schnelligkeit und die Intensität der multidimensionalen Diversifizierung durchaus öfter geballt in Großstädten zu sehen sind und diese auch migrationsbedingt verstärkt werden. Es ist aber auch gleichzeitig zweifelsohne auch die gelebte Realität von vielen Mitmenschen nur begrenzt von dieser Diversifzierungstendenz zu erfahren oder gar zu sehen – je nach sozialräumlichen Kontext (das ist eben die Humangeographie!). Dadurch entstehen Frustrationen, Konflikte und hochproblematische Situationen, dass z.B. „Migration als Bedrohung“ wahrgenommen wird.
Ein wichtiger Beitrag der Wissenschaft ist deshalb durch das Aufzeigen und das Erklären gesellschaftlicher Phänomene bei diesen Mitmenschen ihrer Angst vor den eigenen Unbekannten oder auch der irrationalen rassisitschen oder sonst wie diskriminierenden Denkweisen entgegenzuwirken. In meiner Forschung gehe ich demnach auch der grundlegenderen Frage nach, was von wem überhaupt als „anders“ oder „divers“ wahrgenommen und erlebt wird - denn, wenn wir dies besser begreifen, können wir auch geeignetere Handlungsempfehlungen für ein positives Miteinander in der Gesamtgesellschaft ausarbeiten. Auch gehört es aus meiner Sicht zur Aufklärungsarbeit der Wissenschaft dazu, besonders auch in der Lehre, eben solche medialen Aufarbeitungen und gesellschaftlichen Diskurse kritisch reflektieren zu lehren.
Sie haben für sich nicht den klassischen Weg einer Habilitation eingeschlagen sondern sind den Weg über eine W1-Juniorprofessur mit Tenure Track (WISNA) auf die W2-Professur „Kulturgeographie“ (Nachfolge von Prof. Pfaffenbach) gegangen. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden und welche Chancen sehen Sie in diesem akademischen Karrieremodell?
In der Wissenschaft ist es als Nachwuchs sehr schwierig die Balance zwischen Freiheit in seiner Arbeit und Sicherheit bezüglich der Arbeitsbedingung zu finden. Vor einiger Zeit fing man auch an vom „wissenschaftlichen Prekariat“ zu sprechen, da Nachwuchswissenschaftler*innen unter suboptimalen Bedingungen, mit befristeten Verträgen und häufigem Arbeits- und Wohnortswechsel, nur sehr schwer eine Stabilität im Leben finden konnten und nach wie vor können. Dadurch, dass ich dies selbst auch erlebt habe, aber auch zusätzlich eine untypische akademische Laufbahn hatte (dadurch, dass ich außeruniversitäre Berufserfahrungen sammelte und auch extern promovierte – also befand ich mich nie auf dem „klassischen Weg“), fand ich das Tenure-Track-Modell besonders attraktiv. Die Ruhe und die Sicherheit, aber auch die Kapazitäten und die Arbeitsbedingungen gegeben zu werden, um seinen Forschungsinteressen selbständig nachzugehen und sich wissenschaftlich zu entfalten, - das ist als Wissenschaftler*in und als Individuum Gold wert. Die Chancen bei diesem Modell sind, dass durch die einzigartige Kombination von Freiheit und Sicherheit eine Vielfalt nicht nur an Karriere- sondern auch Lebensmodellen erlaubt werden. Diese Umstände führen dann auch zur Förderung eines wettbewerbsfähigen akademischen Nachwuchs. Ich spreche allerdings nicht gegen andere akademische Karrieremodelle. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass die Vielfalt an Karrieremodellen auch die Vielfalt an individuellen Lebensmodellen widerspiegelt und ihnen zugutekommt.
Mit Ihrer Berufung auf die Junior-Professur werden Sie Doktoranden*innen betreuen. Welche Leitlinien sind Ihnen bei der Ausbildung Ihres wissenschaftlichen Nachwuchses wichtig und wie planen Sie dies in Ihrer Juniorprofessur umzusetzen?
Natürlich steht primär im Vordergrund die Entfaltung und die Förderung der wissenschaftlichen Potenziale, dass kreative und innovative Ideen umgesetzt und Kompetenzen der Doktorand*innen erweitert werden. Aber es gibt drei Aspekte, die ich als „big picture“ für eine fördernde Arbeitsumgebung für Doktorand*innen besonders wichtig finde.
Ein wichtiger Aspekt für mich, - gerade weil ich dies selbst als externe Promovendin nicht erlebt habe-, ist die frühzeitige Integration und Involvierung in die relevante Wissenschaftscommunity. Dies möchte ich durch die Entsendung der Doktorand*innen zu relevanten Konferenzen und im Rahmen eines Doktorand*innen-Kolloquiums, aber auch durch die effektive Involvierung in und Andockung an Publikations- und Forschungsprojekten erreichen. In der sehr herausfordernen Phase des Promovierens ist der Austausch mit anderen Doktorand*innen genauso wichtig wie die frühzeitige Einbettung in die relevante Fachcommunity.
Das Zweite, was mir wichtig ist, ist die frühzeitige Hilfestellung in der Karrierefindung und -planung. Es ist mir bewusst, dass die Entscheidung den akademischen Weg einzuschlagen noch lange nicht während der Promotionsphase oder nach der Promotion gefallen ist. Umso wichtiger ist es, die Eignung oder die Ambitionen frühzeitig klarzustellen, über die Konsequenzen aufzuklären bzw. offen zu sprechen, und zusammen entsprechende Perspektiven aufzustellen, damit der Schritt nach der Promotion – egal ob in der Wissenschaft oder auch außerhalb - reibungsarm und erfolgreich gemacht werden kann.
Und schließlich als Drittes ist mir wichtig, dass ich die Betreuung und Supervision individuell anpasse. Die Individualität in der Arbeitsweise, in der benötigten Balance zwischen Freiheit und Hilfestellung, und in den für die Forschung wichtigen Prozesse, wie kreative Phasen oder Schreibphasen, Blockaden oder auch emotionale Belastung, usw., wird oft verkannt. Ich möchte im Dialog die Betreuung und die Ausbildung der jeweiligen Person nach ihren Bedürfnissen anpassen und ihrer Entwicklung mithilfe von universitätsinternen, aber auch externen Weiterbildungsmöglichkeiten, mit Rat und Tat beiseite stehen.
Die letzten Jahre waren Sie am Max Planck-Institut in Göttingen beschäftigt. Inwiefern unterscheidet sich der wissenschaftliche Betrieb an einer Hochschule von einer außeruniversitären Forschungseinrichtung?
Der Hauptunterschied liegt darin, dass in der außeruniversitären Forschung die Lehre und damit der Bezug zu den Studierenden oder allgemein zur jüngeren Generation fehlt. Einerseits war es zunächst nach sehr lehrintensiven Jahren eine befreiende und erholsame Zeit für mich als Postdoktorandin, in der ich die gesamte Kapazität der wissenschaftlichen Entwicklung widmen konnte und in allen Bereichen ideal gefördert wurde. Andererseits habe ich gerade im letzten Jahr den Austausch mit Studierenden und auch mit der Praxis vermisst. Diese können nämlich oft zu interessanten und durchaus fruchtbaren Perspektivwechseln führen und weitere Innovationen vorantreiben. Zusätzlich kommt bei Max-Planck-Instituten im Gegensatz zu anderen Forschungszentren hinzu, dass dort Grundlagenforschung betrieben wird, was sich als Unterschied auch in den wissenschaftlichen Inhalten und Diskursen selbst niederschlägt.
Vielen Dank für das Interview und einen guten Start in Aachen!