Auf geschmolzenen Schuhsohlen zur Junior-Professur
Liebe Frau Richter,
zum 1.1.2022 übernehmen Sie die neu eingerichtete WISNA-Juniorprofessur „Fernerkundung von Naturgefahren“. Warum haben Sie sich für Aachen entschieden und welche Schwerpunkte werden Sie in Aachen in die Lehre und Forschung einbringen?
Die RWTH Aachen University genießt in der nationalen und internationalen Forschungslandschaft einen herausragenden Ruf. Das ist natürlich attraktiv. Mir gefällt auch die Lage der Stadt und der Universität im Zentrum von Westeuropa. Da ich die letzten Jahre in der Region um Potsdam und Berlin beziehungsweise in Übersee-Frankreich verbracht habe, erschließen sich mir durch die für mich noch unbekannte Region völlig neue und spannende Perspektiven.
Mein besonderes persönliches Interesse gilt komplexen geophysikalischen Prozessen und Prozesskopplungen an aktiven Ozeaninselvulkanen. Ich beschäftige mich also mit der Erforschung von Vulkangebäudearchitektur, -genese und -stabilität sowie mit der Untersuchung vulkantektonischer Prozesse und mit den damit in Verbindung stehenden Mehrfachgefahren und Kaskadeneffekten von Naturgefahren. Ich war und bin in die Vulkanüberwachung und das Krisenmanagement zahlreicher Vulkaneruptionen involviert. Methodisch liegt mein Schwerpunkt auf der Auswertung räumlich dichter satellitengestützter Erdbeobachtungsdaten, ganz besonders auf der Anwendung von Radarfernerkundung und Radarinterferometrie (InSAR), einschließlich der InSAR-Zeitreihenanalyse, welche ich mit zeitlich dichten feldbezogenen Daten (z.B. GNSS und seismischen Daten) integriere und in Synthese auswerte. Außerdem finden moderne Methoden zur Datenaufnahme und -prozessierung hochauflösender digitaler Geländemodelle (DGMs) Anwendung in meiner Forschung. Dazu gehören die Stereophotogrammmetrie auf Grundlage flugzeuggestützter oder UAV-basierter Daten, die (multitemporalen) bistatischen TanDEM-X-CoSSC Auswertung oder die Datenerhebung mit Hilfe terrestrischer Laserscanner.
Ein Fokus in der Lehre wird demnach auf der Vermittlung von Radarfernerkundungsmethoden liegen, wie beispielsweise der multitemporalen differentiellen Radarinterferometrie zur Detektion und dem Monitoring von Erdoberflächendeformationen. Das Spektrum möglicher Anwendungsgebiete ist breit: urbane Absenkung, Georessourcenexploration, Hangrutschungen, Gletscherfließen, Erdbebendeformationen und unterirdische Magmabewegungen lassen sich anhand dieser Methode messen und ermöglichen die Erforschung der ursächlichen Prozesse, beispielsweise durch Modellierung. Wir werden aber auch Methoden für die Datenerhebung und Berechnung topographischer Geländemodelle kennen lernen, welche eine fundamentale Rolle bei der Einschätzung von Naturgefahren darstellen. Da ich einige Jahre an den Vulkanobservatorien auf Hawai’i und La Réunion gearbeitet habe, möchte ich auch meine Erfahrung mit und wichtige Aspekte über Naturgefahrenmanagement weitergeben.
Sie haben Geographie im Bachelor und Geoinformatik im Master an der Universität Jena studiert und im Anschluss von 2012-2017 am GFZ bzw. der Uni Potsdam im Fachbereich Geowissenschaften und Fernerkundung zum Thema „Investigating hazards and the evolution of volcanic landscapes by mean of terrestrial and satellite remote sensing data and modelling“ promoviert. Wie sind Sie zur Fernerkundung und den Naturgefahren gekommen und was fasziniert Sie so an diesem Fachgebiet?
Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich im Herbst 2004 mein Geographiestudium begonnen, in der Hoffnung, dass mich dieses Fach um die Welt bringt. Diese Rechnung ist aufgegangen. Ich habe in den vergangenen Jahren an zahlreichen aktiven Vulkanen rund um den Globus gearbeitet. Schon im Bachelor hat mich die Anwendung von Satellitendaten zur Detektion von Veränderungen der Erdoberfläche besonders interessiert. Ich war für ein Praktikum und meine Bachelorarbeit am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum des DLR tätig und spezialisierte mich im Master auf Fernerkundung und Geoinformatik. Ich war fasziniert davon, dass man wenige Zentimeter an Bodenbewegung pro Jahr mit einer beinahe millimetergenauen Präzession mithilfe eines Satellitensystems messen kann, welches mehr als 500 km von der Erdoberfläche entfernt im Weltall Mikrowellen zur Erde schickt und reflektierte Signale aufzeichnet. Also habe ich studiert, wie das genau funktioniert, wo man solche Daten beschafft und was man sich alles damit anschauen kann. Als mich die Anwendung dieser Methode zum Kīlauea Vulkan nach Hawai’i brachte und ich dort meinen ersten Vulkanausbruch erlebte, gab es kein spannenderes Thema mehr für mich und die Weichen für meinen zukünftigen Forschungsschwerpunkt waren gestellt.
Ihr besonderer Schwerpunkt liegt auf der Erforschung von Vulkanen. In den letzten Monaten waren Sie auf La Palma aktiv und berichteten mehrfach in den deutschen Medien über den Ausbruch. Was macht diesen Vulkanausbruch so besonders? Für wie wichtig halten Sie die wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Naturgefahren?
Der Cumbre Vieja ist ein aktiver Ozeaninselvulkan, der seinen Ursprung in einer Mantelanomalie hat. Als solcher gehört er zu jenen Vulkanen, auf die ich mich in meinem besonderen Forschungsschwerpunkt in den vergangenen Jahren spezialisiert habe. Er bricht sehr unregelmäßig und, gemessen an unserer menschlichen Zeitskala, eher selten aus. Das macht jeden seiner Ausbrüche zu einer reichen Datenquelle und liefert Informationen über seine innere Architektur und über sein Ausbruchsverhalten. Da Vulkanausbrüche wahnsinnig spektakuläre Naturereignisse sind, ziehen sie ihre eigene Form des Tourismus an. Für die Sicherheit der betroffenen Bevölkerung und der herbeiströmenden Touristen sind die Kommunikation wissenschaftlich fundierter Dateninterpretationen und Erkenntnisse gegenüber der Öffentlichkeit und die enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Zivilschutzbehörden essentiell.
Neben La Palma haben Sie Vulkane unter anderem auf Hawai‘i, La Réunion und Indonesien sowie in Chile und Mexiko erforscht. Haben Sie einen speziellen Lieblingsvulkan und falls ja, warum? Sind Sie schon einmal in eine gefährliche Situation in Zusammenhang mit Vulkanen gekommen?
Der Kīlauea Vulkan auf Hawai’i wird immer eine besondere Rolle spielen, denn hier hat für mich in den Jahren 2010-2012 alles begonnen. Ich habe damals im März 2011 die Kamoamoa Spalteneruption und damit meinen allerersten Vulkanausbruch hautnah miterlebt. So etwas vergisst man niemals. Darüber hinaus hatte der Kīlauea im Sommer 2018 einen Jahrhundertausbruch, durch welchen unglaubliche forschungsrelevante Erkenntnisse über das System und die Kopplung von Calderen-Einstürzen mit Flankeneruptionen gewonnen werden konnten. Ich möchte aber auch den Piton de la Fournaise nicht unerwähnt lassen, denn dort habe ich während meines längsten Forschungsaufenthaltes von insgesamt 30 Monaten an einem aktiven Vulkan eine Menge gelernt.
Ob die Arbeit an Vulkanausbrüchen gefährlich ist? Ich habe -durch einen Gurt gesichert, aber halb aus fliegenden Helikoptern ohne Fenster und Türen hängend- photogrammetrische Daten über aktiven Eruptionsspalten gesammelt. Mir sind ab und zu die Schuhsohlen geschmolzen, wenn ich auf frischen Lavafeldern unterwegs war, vulkanische Gase haben mir Tränen in die Augen getrieben, mein Auto ist in heftigem Ascheregen und dickem Aschebelag auf den Straßen stecken geblieben, ich habe frische Lavabomben eingesammelt, genau da, wo sie noch heiß zu Boden gingen. Ich stand direkt am Abgrund von einigen senkrechten und sehr tiefen Kraterrändern aktiver Vulkane, um beispielsweise Laserscanner-Messungen durchzuführen. Auf solche Unternehmungen bereitet man sich sehr gut vor. Es gibt direkten Kontakt mit den lokalen Behörden und Kollegen, die die aktuelle Situation und Datenlage im Auge haben, und es gilt, akribisch alle Sicherheitsvorkehrungen zu beachten. In Lebensgefahr habe ich mich bisher nicht gebracht, auch wenn einige Situationen durchaus gefährliche Wendungen hätten nehmen können.
Sie haben für sich nicht den klassischen Weg einer Habilitation eingeschlagen, sondern sind den Weg über eine W1-Juniorprofessur mit Tenure Track (WISNA) auf die W2-Professur „Neotektonik und Georisiken“ (Nachfolge von Prof. Reicherter) gegangen. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden und welche Chancen sehen Sie in diesem akademischen Karrieremodell?
Die Juniorprofessur ermöglicht es mir, die gesamten Aufgabengebiete einer Professur kennenzulernen und mich in allen Verantwortungsbereichen zu erproben und zu beweisen. Außerdem bekomme ich dadurch schon jetzt Einblicke in die laufenden Forschungsprojekte und Lehrinhalte an der Universität sowie in der Fakultät und der Fachgruppe und habe damit zeitig die Möglichkeit der inhaltlichen Mitbestimmung. Ich denke, besser kann man sich nicht auf eine volle Professur vorbereiten.
Mit Ihrer Berufung auf die Junior-Professur werden Sie Doktoranden*innen betreuen. Welche Leitlinien sind Ihnen bei der Ausbildung Ihres wissenschaftlichen Nachwuchses wichtig und wie planen Sie dies in Ihrer Juniorprofessur umzusetzen?
Meine Doktoranden*innen sollen vor allem Freude an Ihren Arbeitsthemen haben. Ich möchte junge Menschen für wissenschaftliche Fragestellungen begeistern. Sie sollen Werkzeuge mit auf den Weg nehmen und diese kreativ, kompetent und selbstständig anwenden. Wichtig sind mir interdisziplinäre Lösungswege, die Generierung messbarer Erfolge durch realistische Lehr- und Lernziele sowie die fachliche und persönliche Entwicklung der Doktoranden*innen. Zum angewandten Arbeiten gehören auch Forschungsaufenthalte und Geländearbeiten, in die ich den wissenschaftlichen Nachwuchs von Beginn an einbeziehen möchte. Meiner Erfahrung nach entwickelt man ein ganz anderes Verhältnis zu Daten, die man eigenständig im Gelände sammelt und aufbereitet, bevor man mit ihnen arbeitet. In der Lehre möchte ich erreichen, dass Studenten meine Veranstaltungen gerne besuchen und sie sich von den Inhalten nicht überfordert fühlen, sondern Freude daran entwickeln, selbstständig, tiefgründig und konzentriert über Lösungen nachzudenken. Im Zentrum meines persönlichen Lehrverständnisses stehen also die Begriffe Motivation, Entwicklung, Dialog und Fokus.
Die letzten Jahre waren Sie am Geoforschungszentrum in Potsdam beschäftigt und haben einzelne Lehrveranstaltungen vor allem an der Universität Potsdam gegeben. Inwiefern unterscheidet sich der wissenschaftliche Betrieb an einer Hochschule von einem Forschungszentrum?
An einer Universität nehmen die Lehre und die Zusammenarbeit mit Studierenden eine zentralere Rolle ein als an einem Forschungszentrum. Ich freue mich auf die Arbeit mit der nächsten Wissenschaftler-Generation. Diese hält mich hoffentlich lange neugierig, kreativ und flexibel.
Die Studierenden erhoffen sich mit Ihrer Berufung unter anderem ein erweitertes Angebot von vulkanologisch geprägte Geländeveranstaltungen. Haben Sie hierfür ggf. schon Pläne?
Ich arbeite in einem Schwerpunkt an aktiven Ozeaninselvulkanen und würde sehr gerne mit Studierenden einige von ihnen besuchen. Für Geländeveranstaltungen bieten sich beispielsweise die kanarischen Inseln, die Kapverden oder sogar La Réunion im Indischen Ozean an. Ich war in meinem Studium selber in China und Kalifornien auf Studien-Exkursionen und hoffe sehr, dass ich solche Reisen auch an der RWTH umsetzen kann. Solange größere Exkursionen durch die Pandemiesituation eingeschränkt bleiben, werden wir aber auch nahe gelegene Vulkanregionen, wie die Eifel, besuchen.
Vielen Dank für das Interview und einen guten Start in Aachen!