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Grenzflächen und Großforschung: Neue Professorin in der Kristallographie

Prof. Zobel Urheberrecht: © Jürgen Rennecke/Universität Bayreuth

Liebe Frau Zobel,

zum 1.7.2021 übernehmen Sie den Lehrstuhl für Kristallographie an der RWTH Aachen University. Was sind Ihre Pläne für die Weiterentwicklung Ihres Lehrstuhls und wieso haben Sie sich für Aachen entschieden?

Ich freue mich sehr, dass sich die RWTH Aachen University entschieden hat, das Institut für Kristallographie mit mir zu besetzen. Es gibt unzählige hochaktuelle kristallographische Herausforderungen von Struktur-Aktivitäts-Korrelationen in Katalysatoren und Energiematerialien, über Nanomaterialien, der Supraleitung bis hin zur biologischen Forschung, wo jüngst auch Neutronen dazu beitragen die Struktur von SARS-CoV-2 aufzuklären. Nicht ohne Grund gab es bereits über 20 Nobelpreise mit kristallographischem Bezug. Viele physikalische, chemische, mechanische oder elektrische Materialeigenschaften haben ihren Ursprung in Defekten und Abweichungen von der idealen kristallinen Anordnung. Jede Ober- und Grenzfläche stellt in dieser Hinsicht einen Defekt dar, jeder Katalysator arbeitet mit Defekten. Weil die zu charakterisierenden Materialien ständig komplexer werden, möchte ich den Lehrstuhl methodisch breit aufstellen, um die Struktur und Dynamik von Grenzflächen und nanostrukturierten Materialien auf höchstem Niveau zu verstehen. Die jüngsten Entwicklungen an Synchrotronstrahlungs- und Neutronenquellen, sowie Freie Elektronen Lasern und die Entwicklung neuartiger Neutronenquellen (High Brillance Neutron Source) machen aus der Kristallographie eine hochmoderne Disziplin, welche nie zuvor dagewesene zeitaufgelöste Einblicke in Materialien erlaubt. Aachen bietet durch die vielen spannenden materialwissenschaftlichen Fragestellungen innerhalb der Fakultät 5, aber auch der Chemie, Physik oder den Ingenieurwissenschaften, sowie der Nähe zum Forschungszentrum Jülich ideale Voraussetzungen, um das große Potential moderner Kristallographie voll zu entfalten und Studierende mit auf diese spannende Reise zu nehmen.

Sie haben Chemie- und Bioingenieurwesen an der FAU in Erlangen-Nürnberg studiert und im Anschluss dort 2015 im Fachbereich Physik zum Thema „Nanoparticle crystallization and solvent interface restructuring especially for ZnO nanoparticles in organic solvents” promoviert. Wie sind Sie zur Kristallographie gekommen und was fasziniert Sie an diesem Fachgebiet?

Im letzten Jahr meines Diplomstudiums besuchte ich aus reinem Interesse ein Wahlfach über den strukturellen Aufbau von Materie, ein völlig neuer Aspekt damals als Ingenieur, der mich faszinierte. Außerdem besuchte ich noch eine Sommerschule über Nanomaterialien, welche von zwei ausgewiesenen Streu-Experten, dem Lehrstuhlinhaber für Kristallographie und Strukturphysik der FAU, Prof. Andreas Magerl, und dem Wissenschaftlichen Direktor der Forschungsneutronenquelle FRM-II, Prof. Winfried Petry, geleitet wurde. Deren Begeisterung gab den Ausschlag, mich für eine Promotionsstelle im Bereich der Kristallographie zu entscheiden – da hat Leidenschaft gegen die schlechtere Bezahlung im Vergleich mit den Ingenieurwissenschaften gewonnen. Die Leidenschaft für dieses Fach ist bis heute geblieben. Ich nutze allerdings meine Ingenieurgrundlagen beim Bau von Probenumgebungen, betreibe anwendungsbezogene Grundlagenforschung für ein besseres Verständnis von Grenzflächen und bin immer wieder auf Messreisen mit meinen Mitarbeitern*innen fasziniert von der Welt der Großforschung.

Seit 2017 sind Sie in der Lehre an der Universität Bayreuth tätig und haben vor allem Vorlesungen im Bereich der Anorganischen Chemie gehalten. Was planen Sie für den Bereich Lehre an der RWTH? Werden Sie in der Lehre Inhalte und Themengebiete umgestalten und was erwarten Sie von Ihren Studierenden?

Die Vorlesungsinhalte der anorganischen Festkörperchemie und der Kristallographie decken sich in einigen Bereichen: der Aufbau von Kristallen, die Kristallchemie, die Röntgenbeugung, aber auch Laborpraktika zur Synthese von Nanokristallen oder Pulverbeugung. Mir ist es wichtig den Studierenden eine sehr gute und breite Grundlagenausbildung unabhängig von meinen persönlichen Forschungsinteressen zu vermitteln, so dass sie im Anschluss gut gerüstet sind verschiedenste Arbeitsfelder ausüben zu können. Aktuelle Forschungsthemen baue ich kontinuierlich in die Vorlesungen ein um Impulse zu setzen. Im Rahmen von SHK-Tätigkeiten, Praktika oder Abschlussarbeiten erhalten interessierte Studierende auch direkt die Möglichkeit, uns bei Messungen am Synchrotron oder Neutronenquellen zu begleiten. Von Studierenden erhoffe ich mir kritisches, konstruktives und kreatives Denken über den Tellerrand und das Lehrbuchwissen hinaus, da nur hierdurch ergebnisoffene Diskussionen geführt und neue Erkenntnisse gewonnen werden können.

  Prof. Zobel Urheberrecht: © Uwe Niklas

Sie haben für sich nicht den klassischen Weg einer Habilitation eingeschlagen sondern sind den Weg über eine W1-Juniorprofessur in „Festkörperchemie – Mesostrukturierte Materialien“ an der Universität Bayreuth (seit 2017) zur W3-Professur an der RWTH Aachen University (ab 2021) gegangen. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden und welche Chancen sehen Sie in diesem akademischen Karrieremodell?

Nach meiner Promotion wollte ich eigentlich in die Industrie. Aber 2016 gab es dort gerade kaum Stellen in der Forschung und Entwicklung, so dass es doch ein Postdoc in Dänemark wurde. Dann wurde ich sechs Monate später ganz überraschend nach einem Konferenzvortrag angesprochen, ich solle mich doch mit meiner Forschung auf die W1-Professur in Bayreuth bewerben. Somit wurde ich mit einem wohl eher atypischen Lebenslauf für eine Wissenschaftskarriere in einem akademisch sehr jungen Alter W1-Professorin – eigentlich total ungeplant. Der Vorteil des W1-Karrieremodells ist meiner Einschätzung nach, die bessere Wahrnehmung durch etablierte Kollegen*innen jenseits des eigenen Standorts. Ob eine klassische Habilitation, eine Nachwuchsgruppe oder eine W1-Professur der richtige Weg ist, ist sicherlich nicht nur eine Typ-Frage, sondern auch die reine Verfügbarkeit der passenden Stelle zum richtigen Zeitpunkt und des Kennens von Kollegen*innen seines Fachgebietes, um frühzeitig gut vernetzt sein.

Seit Ihrer Berufung auf die Junior-Professur betreuen Sie Doktoranden*innen. Welche Leitlinien sind Ihnen bei der Ausbildung Ihres wissenschaftlichen Nachwuchses wichtig und wie planen Sie dies an Ihrem Lehrstuhl umzusetzen?

Fördern und fordern. Jede*r Mitarbeiter*in und Studierende*r ist individuell, mit eigenen Stärken. Es gilt diese zu erkennen und auf ihnen aufzubauen, aber auch manche Lücken zu schließen und den Nachwuchs weiterzuentwickeln – sowohl fachlich als auch persönlich. In unserer Forschung sind Messreisen, auch international, für Experimente sehr wichtig und es ist essenziell, als Team zu funktionieren, was bisher bestens klappt. Diesen Teamgedanken leben wir ebenfalls in unserer alltäglichen Arbeit an der Universität und in diesem Esprit wurden meine Bayreuther Doktorierenden und ich herzlichst von den vorhandenen Mitarbeitern*innen am IfK aufgenommen. Offenheit, Ehrlichkeit und Fairness liegen mir sehr am Herzen.

Wie wichtig sind insbesondere in der Kristallographie Auslandserfahrungen und die damit verbundene Vernetzung mit ausländischen Kollegen*innen? Sie selbst weisen ja einige Erfahrungen als Visiting Scientist in Frankreich, den USA, Dänemark und Australien auf. Inwiefern haben diese Auslandsaufenthalte Sie geprägt und was würden Sie Studierenden bzw. Promovierenden diesbezüglich empfehlen?

Die wissenschaftlichen Karrierewege in der Kristallographie unterscheiden sich nicht fundamental von denen anderer naturwissenschaftlicher Fächer hinsichtlich der Bedeutung von Auslandsaufenthalten. Es wird oftmals in meinen Augen leider zu sehr auf den formalen Aspekt der Auslandserfahrung geachtet – auch bei Stipendien. Deshalb unterstütze ich Studierende und Mitarbeiter*innen entsprechende Qualifikationen zu erwerben, z.B. im Rahmen von Forschungspraktika. Meine Doktorandin war trotz Corona-Beschränkungen letzten Herbst für drei Monate an der Europäischen Synchrotronstrahlungsanlage (ESRF) in Grenoble. Ich selbst fand es am wertvollsten, verschiedene Arbeitsweisen kennenzulernen und inspirierende Zeit mit Kollegen*innen zu verbringen – am liebsten bei einem guten Abendessen. Meinem Lieblingsreiseland Frankreich bin ich in Aachen nun deutlich näher.

Vielen Dank für das Interview und einen guten Start in Aachen!